Gerüchteküche VI: Darf man während der Schwangerschaft Kaffee trinken?
Ein Beitrag von Stephan Eicke in der Kategorie #Gerüchteküche vom 9. Mai 2022
In unserer Reihe “Gerüchteküche” nehmen wir uns regelmäßig Mythen im Bereich Kaffee an, die sich bereits seit langer Zeit halten. Hier untersuchen wir, ob sie komplett erfunden sind oder ob an ihnen nicht doch etwas dran sein könnte.
Die zwei Mythenkiller:
Stephan, Content Creator, und Jan, Content Strategist
Gerüchte, Mythen, Legenden
über Espressomehl und Kaffeesatz
Lasst uns etwas Wissen spenden,
hier hat alles seinen Platz
Stephan: Guten Morgen, Jan. Hast du heute schon einen Blick in unser digitales Postfach geworfen um zu schauen, welche Themen unsere Kund:innen aktuell umtreiben?
Jan: In der Tat. Gestern hat uns diese Anfrage erreicht.
Liebes Coffee Circle,
Ich bin im ersten Trimester schwanger und habe sofort aufgehört Kaffee zu trinken, als ich das Testergebnis bekommen habe. Einige Freundinnen von mir haben während ihrer ganzen Schwangerschaft keinen Kaffee getrunken, vor allem aus Unsicherheit. Könnt ihr mir und uns da weiterhelfen?
Stephan: Können wir tatsächlich. Das Gerücht ist uns bekannt, die Unsicherheit bezüglich Kaffeekonsum in der Schwangerschaft auch nicht neu. Ganz so einfach wie bei Alkohol und Nikotin ist es nicht.
Jan: Mehr Alkohol und Nikotin während der Schwangerschaft, denn so eine Schwangerschaft, die ist stressig.
Stephan: Hast du das aus dem Lehrbuch der alternativen Fakten? Während der Schwangerschaft sollte man natürlich weder Alkohol noch Nikotin zu sich nehmen. Zum Thema Kaffee war lange Zeit nur wenig bekannt, mittlerweile gibt es aber einige Studien, wie sich Koffein auf das ungeborene Kind auswirkt.
Jan: Wie testen wir es? Wollen wir uns in neun Monaten zum Fazit hier wieder treffen?
Stephan: In neun Monaten kommt der Rat für unsere Kundin zu spät. Vertrauen wir auf die Wissenschaft.
Das Gerücht
Das Gerücht, dass Koffein dem ungeborenen Baby schadet, hält sich wacker. Deshalb verzichten viele Schwangere darauf, während der neun Monate Kaffee zu sich zu nehmen. Die Angst ist, dass das Koffein, das durch den Blutkreislauf wandert, Stresshormone des Babys anregt. Kortisol und Adrenalin würden ausgeschüttet und nach der Geburt käme es zu Entzugserscheinungen ähnlich wie bei Nikotin.
Würde das stimmen, wäre das selbstverständlich bedenklich. Wie eingangs angekündigt, gab es in den vergangenen Jahren eine regelrechte Schwemme an Studien zu diesem Thema. Haben die mit dem Gerücht ein für alle Mal aufgeräumt?
Der Versuch
Ohne in unser eigenes Horn blasen zu wollen: Wir haben zu diesem Thema vor einigen Wochen eine schwangere Kundin interviewt und uns zu diesem Zweck bereits einmal mit der Materie auseinandergesetzt, wenn auch in einem anderen Format als für diese Reihe üblich. Die Erfahrungen von Magdalena deckten sich mit denen ihrer schwangeren Freundinnen: “Ich war mit der Gesamtsituation erst einmal so überfordert, dass ich gar keinen Kaffee getrunken habe. Mir war zu Beginn auch übel, und Kaffee schmeckte mir dann nicht. Interessant war, dass ich den Geruch des Kühlschranks bald als unangenehm empfunden habe. Dann haben mein Partner und ich überall Kaffeebohnen hingelegt, weil ich den Geruch zumindest angenehmer fand.”
Durch eine Schwangerschaft fährt der ganze Körper Achterbahn und Hormone tanzen auf der Kirmes. Dinge, die vorher geschmeckt haben, werden plötzlich als unangenehm empfunden, und Dinge, denen sonst meilenweit aus dem Weg gegangen wurde, werden jetzt mit Leidenschaft verputzt. Doch dies sind nur die geschmacklichen Aspekte. Wie sieht es mit den gesundheitlichen Auswirkungen von Kaffeekonsum während der Schwangerschaft aus?
Die European Food Safety Authority hat ermittelt, dass ein Erwachsener im Durchschnitt pro Tag ca. 319 mg Koffein zu sich nimmt. Wer schwanger ist, so die offizielle Richtlinie, sollte diesen Konsum auf maximal 200 mg pro Tag reduzieren. Das stimmte überein mit anderen Studien, die in den vergangenen Jahren veröffentlicht wurden. Doch alle diese Studien hatten ein- und dasselbe Problem: Die Daten zur Auswertung beruhen ausschließlich auf Selbstauskünften von Schwangeren und berücksichtigten keine anderen Faktoren zum Lebenswandel der Betroffenen.
Die gute Nachricht: 2021 wurde eine neue Studie veröffentlicht, die nicht nur auf Selbstaussagen setzte.
Die schlechte Nachricht: Sie kommt zu einem ganz anderen Ergebnis als die EFSA.
Die gute Nachricht: Langzeiteffekte wurden für die aktuelle Studie nicht untersucht und die Ergebnisse sind laut Fazit nicht konklusiv.
Die schlechte Nachricht: Diese Langzeiteffekte könnten die besorgniserregenden Auswertungen bestätigen.
Der Reihe nach: Katherine Grantz und Kolleg:innen von mehreren US-amerikanischen Instituten schlossen sich für eine Untersuchung zusammen, die die Auswirkung des Koffein-Konsums auf das Geburtsgewicht der Babys erforschen sollte.
Insgesamt 2.055 Nichtraucherinnen nahmen teil, deren Babys ein geringeres Risiko hatten, fötale Abnormalitäten zu entwickeln. Das Durchschnittsalter der Probandinnen betrug 28,3 Jahre, der BMI 23,6. 580 der Frauen waren hispanisch, 562 kaukasisch, 518 schwarz, und 395 asiatisch. Im Durchschnitt wurden ihre Babys nach 39,2 Wochen Schwangerschaft geboren. 41,6 % der Frauen haben während des ersten Trimesters keine koffeinhaltigen Getränke zu sich genommen, während 35,7 % angaben, knapp 50 mg Koffein pro Tag getrunken zu haben. 22,7 % der Beteiligten haben täglich mehr als 50 mg genossen (auch wenn es kein Coffee Circle Kaffee war). Für 98 % der Frauen blieb die tägliche Menge auch über das zweite und dritte Trimester konstant.
Während der Schwangerschaft wurde die Konzentration von Koffein und Paraxanthin (dem Dimethylderivat von Xanthin und strukturell mit dem Koffein verwandt) im Plasma gemessen.
Das Fazit
Stephan: Jan, die Ergebnisse sind ganz interessant. Die Forscher fanden “kleine Veränderungen in den Maßen” bei Neugeborenen von Müttern, die während der Schwangerschaft Kaffee getrunken haben.
Jan: Was heißt das im Klartext?
Stephan: Im Klartext heißt das: Babys, deren Mütter während der Schwangerschaft Kaffee getrunken haben, kamen kleiner auf die Welt als Babys von Müttern, die während der Schwangerschaft komplett auf Kaffee und koffeinhaltige Getränke verzichtet haben. Ein Neugeborenes wiegt im Durchschnitt 3,3 kg.
Jan: Achwas. Gibt es da genauere Daten?
Stephan: Die Babys wogen im Schnitt 84 g weniger und waren 0,46 cm kleiner. Es gibt allerdings mehrere Einschränkungen, auf die die Wissenschaftler selber hinweisen: Es müsse der Zusammenhang zwischen Koffeinkonsum – basierend auf der Plasmakonzentration von Koffein und seinen Metaboliten – und den Angaben der Probandinnen zum Konsum von koffeinhaltigen Getränken mit mehreren Vergleichswerten bezüglich der Wachstumshemmung von Babys noch näher untersucht werden. Zudem arbeitet jeder Metabolismus anders, und es fehlten Informationen zum Zeitpunkt des letzten Koffeinkonsums. Außerdem möchte ich hinzufügen, dass unsere Freundin Magdalena trotz Kaffeekonsum in der Schwangerschaft ein Baby mit 3,38 kg zur Welt gebracht hat.
Jan: Also ist das Fazit nicht so aussagekräftig, wie wir erhofft hatten. Das Verhältnis von Korrelation und Kausalität müsste noch näher untersucht werden. Und geben geringere Größe und Gewicht bei Babys als der Durchschnitt gleich Anlass zur Sorge?
Stephan: Nicht unbedingt, denn die Studie untersuchte auch nicht Langzeitfolgen für die Babys. Alle Babys waren bei der Geburt gesund. Ob sie es bis ins Erwachsenenalter bleiben, wurde nicht erforscht. In der Medizin heißt es, dass Neugeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1.500 g ein erhöhtes Risiko für gesundheitliche Probleme haben. Von diesem kritischen Gewicht sind die Babys in der US-amerikanischen Studie weit entfernt.
Jan: Die Studie hat ähnliche Probleme wie vorherige, indem andere Risikofaktoren nicht berücksichtigt wurden. Trotzdem sollte man die Ergebnisse ernst nehmen. Was raten wir nun unserer besorgten Kundin?
Stephan: Die Richtlinie der EU rät zu maximal 200 mg koffeinhaltige Getränke pro Tag für Schwangere. Die US-amerikanische Studie entdeckte, dass jene Babys kleiner und leichter geboren wurden, deren Mütter nur 50 mg Koffein pro Tag getrunken haben. Wer lieber komplett auf Koffein verzichten möchte, ist sowieso auf der sicheren Seite.
Die Erklärung
Dass Koffein das Wachstum hemmen kann, vermuteten Forscher schon länger. Hinzu kommt ein anderer, verwandter Aspekt: Koffein gelangt in den Blutkreislauf des Babys über die Plazenta der Mutter. Schwangere haben einen langsameren Stoffwechsel, das heißt, “es kann bis zu 18 Stunden dauern, bis gerade mal die Hälfte [des Koffeins] abgebaut ist.” Das Baby braucht noch länger. Das Koffein sammelt sich entsprechend an. Wer mehr als 200 ml koffeinhaltige Getränke pro Tag zu sich nimmt, sorgt dafür, dass das Baby bis zur Geburt permanent koffeiniert ist.
Eine britische Studie kam zu einem ganz ähnlichen Ergebnis wie die oben erwähnte US-amerikanische: Die Kinder waren bei der Geburt allesamt gesund, aber umso leichter, je mehr Kaffee die Mütter in der Schwangerschaft konsumiert hatten. Aber: Solange ein kritischer Wert nicht unterschritten wird, wie oben erwähnt, ist ein geringeres Geburtsgewicht als der Durchschnitt unbedenklich.
Weitere Gerüchte und Ergebnisse zum Thema Wachstumshemmung durch Koffein klären wir in einer weiteren Folge unserer “Gerüchteküche”. Versprochen.
Herein in die Gerüchteküche
Woche für Woche gehen unsere Mythenjäger den beharrlichsten Gerüchten, der gepflegten Pseudowissenschaft und den gefühlten Wahrheiten rund um’s Thema Kaffee auf den Grund. Finde heraus, was sie bisher so alles herausgefunden haben.