Low Caf statt No Caf? Hat der neue Trend des koffeinarmen Kaffees eine Zukunft?
Ein Beitrag von Stephan Eicke in der Kategorie #Interviews vom 2. Februar 2022
No Caf, Kaffee ohne Koffein, hat einen schlechten Ruf, denn durch den Prozess des Entkoffeinierens gehen Teile des Aromas und Körpers verloren. Das lässt das Getränk oft fad schmecken. Gibt es eine bessere Alternative mit Low Caf, von Natur aus koffeinarmem Kaffee?
Menschen, die schwanger sind, leicht nervös werden oder unter Herzproblemen leiden, greifen gerne zu einem Decaf. Der kann, wie alle anderen Kaffees auch, je nach Sorte und Verarbeitungsmethode gut schmecken oder eben nicht. Doch selbst die besten entkoffeinierten Getränke lassen die Vollmundigkeit ihrer Gegenparts vermissen. Das ist nicht weiter verwunderlich, schließlich werden die Kaffees – wie alle anderen auch – angepflanzt und geerntet, bevor ihnen dann aber das Koffein entzogen wird. In diesem zusätzlichen Schritt gehen Aromen verloren. Anders geht es bislang nicht, denn ohne Koffein natürlich gewachsene Kaffeepflanzen sind nicht verfügbar. Aber in der Kaffeewelt tut sich etwas.
Laurina und Aramosa
Seit einigen Jahren erfreuen sich jene Varietäten wachsender Beliebtheit, die einen geringeren natürlichen Koffeingehalt aufweisen als andere: Laurina und Aramosa. Bei ersterer handelt es sich um die natürliche Mutation einer Bourbon-Pflanze, die auf der Insel La Réunion Anfang des 19. Jahrhunderts entdeckt wurde. Letztere ist eher Spitzname denn offizielle Bezeichnung. Schließlich setzt sich Aramosa aus “Arabica” und “Racemosa” zusammen, zwei verschiedenen Spezies, die gekreuzt wurden. In verschiedenen “Aramosa”-Pflanzen können unterschiedliche Arabica-Varietäten stecken. Racemosa enthält von Natur aus wenig Koffein. Kurz: Aramosa ist nicht gleich Aramosa, sei der Einfachheit halber hier aber so bezeichnet.
Abhängig von verschiedenen Faktoren (Anbau, Produzent, etc.) weisen Laurina-Pflanzen einen Koffeingehalt auf, der knapp halb so hoch ist wie der anderer Arabica-Pflanzen. Laurina-Kaffees werden nicht zusätzlich entkoffeiniert, sondern als Low Caf Produkte auf dem Markt mit wachsender Beliebtheit angeboten.
In Zahlen
Doch wie viel Koffein enthalten “Low Caf” Varietäten? Das kommt, wie so oft, auf verschiedene Faktoren an. Zum Vergleich: Gerösteter Kaffee kommt bei Arabica Bohnen auf circa 1,2 % Koffein und bei den koffeinhaltigeren Robusta Bohnen auf bis zu 2,6 % Koffein. Bei maximal 0,08 % kann er laut EU-Richtwert als koffeinfrei bezeichnet werden. Diese Werte unterscheiden sich in Nicht-EU-Ländern. Koffeinarmer Kaffee ist hingegen nicht per EU-Richtwert definiert. Die Farm Daterra in Brasilien bewertet ihre Erträge als Low Caf, wenn die jeweilige Pflanze über weniger als 1 % Koffein verfügt. Ihre Laurina-Varietät besitzt 0,4-0,5 % Koffein, Aramosa hingegen 0,7-0,8 %.
In Gramm-Zahlen: Unser Decaf Filterkaffee verfügt über 0,04 g/100 g Koffein, unser Decaf Espresso über 0,03 g/100 g. Grundsätzlich besitzt Arabica, wie oben erwähnt, weniger Koffein als Robusta. So kommt es, dass “Low Caf”-Varietäten ausschließlich Vertreter von Arabica sind.
Eigenständiges Produkt statt Alternative
Wir von Coffee Circle haben uns 2021 entschlossen, im März 2022 einen Low Caf-Kaffee als limitierte Edition in unser Portfolio aufzunehmen. Der Aramosa-Kaffee kam durch unsere enge Zusammenarbeit mit der Plantage Daterra in Brasilien zustande. Unser Röster Hannes erklärt: “Wir sind Stammkunde von Daterra, von denen wir unseren Cerrado beziehen. Als solcher experimentieren wir gerne mit ihnen. Üblicherweise sind wir vor Ort auf der Farm, um gemeinsam Projekte mit ihnen anzugehen. Aufgrund des Coronavirus fand diese Kollaboration ausschließlich auf Skype statt. Wir haben uns entschieden, Aramosa zu nutzen, weil die Kirschen ein fantastisches Geschmacksprofil besitzen, aber nicht so bekannt sind wie Laurina. Wir sehen Low Caf-Kaffees auch nicht als Alternative zu Decafs an, sondern als eigenes, überlegenes Produkt. Während selbst bei den besten Decafs Aromen verloren gehen, schmeckt der Low Caf wie ein richtig guter Arabica-Kaffee, allerdings mit deutlich weniger Koffein. Für eine smoothe Tasse am Nachmittag ist er perfekt.”
Der Anbau von Laurina und Aramosa stellen Farmer allerdings vor schwere Herausforderungen, denn aufgrund des geringeren Koffeingehaltes sind die Varietäten besonders empfindlich. Im Schnitt gehen 30 % der Pflanzen ein, bevor die Kirschen geerntet werden können. Koffein schützt als natürliches Nervengift vor Insekten. Ohne dieses Mittel sind die Pflanzen anfällig für Krankheiten. So kommt es, dass bislang nur wenige Farmen Low Caf-Varietäten anbauen: Viele können es sich nicht leisten, andere verfügen noch nicht über das notwendige Knowhow für die Pflege. Der Anbau von Laurina und Aramosa könnte sie ruinieren. Daterra ist eine der Farmen, auf denen beide Varietäten angebaut und geerntet werden. Wir haben mit Gabriel Agrelli Moreira gesprochen, Manager of Quality and Market von Daterra.
Stephan Eicke: Gabriel, wie kommt es, dass die angesprochenen Varietäten weniger Koffein aufweisen als normale Arabica- oder Robusta-Pflanzen?
Gabriel Agrelli Moreira: Das hängt mit der Genetik dieser Varietäten zusammen. Natürlich spielen noch andere Charakteristiken hinein, die dafür sorgen, dass sie weniger Koffein besitzen als andere. Einige Varietäten sind bitterer als andere, einige sind süßer, einige verfügen über mehr Körper, einige besitzen weniger Koffein.
Diese Low Caf-Varietäten sind meist fragiler. Das hängt auch mit dem Koffeingehalt zusammen, denn Koffein wirkt als Schutz. Koffein ist ein Gift. Wenn du zu viel davon trinkst, kannst du sterben. Insekten greifen also eher Varietäten an, die über einen geringen Koffeingehalt verfügen.
Laurina ist so fragil, dass wir 20 Jahre gebraucht haben, diese Varietät an unsere Umwelt zu gewöhnen.
Wie geht ihr bei Daterra mit dieser Fragilität der Pflanzen um?
Es ist ein sehr langer Prozess. Wir sind Partnerschaften mit vielen Forschungsinstituten überall auf der Welt eingegangen, unter anderem mit dem IAC [Instituto Agronômico de Campinas] hier in Brasilien. Wir haben ein Feld auf der Farm mit viel genetischem Material. Aktuell erforschen wir 130 Varietäten insgesamt, nicht nur Low Caf-Varietäten.
Low Caf testen wir auf diesem Feld. Wenn diese Varietäten zu uns auf die Farm kommen, sind sie an unsere Umgebung nicht gewöhnt – an das Klima, an den Boden, und so weiter. Wir analysieren diese Pflanzen einer bestimmten Varietät, einer Genetik, die wir bekommen haben. Von diesen zehn bis 15 Pflanzen wählen wir nach der Analyse die besten aus. Nach vier Jahren erhalten wir die Samen der besten Pflanzen. Diese setzen wir auf unser Feld. Nachdem das Feld gefurcht wurde, setzen wir 45 Pflanzen ein, von denen wir wiederum die besten auswählen, bevor wir sie auf ein neues Feld setzen. So selektieren wir Schritt für Schritt. Dieser ganze Prozess dauert vielleicht zwölf Jahre. In diesem Zeitraum wird die Varietät an unser Mikroklima gewöhnt. Wir wählen aus, was in unserem Ökosystem überlebt. Dann geht die eigentliche Arbeit erst los, indem wir das Feld aufbereiten. Wir müssen düngen und die Pflanze vor Angreifern schützen. In regelmäßigen Abständen besuchen wir das Feld, nehmen Stichproben. Diese analysieren wir dann im Labor, um auszuwerten, ob Insekten oder eine Pest angegriffen haben. Laurina ist so fragil, dass wir 20 Jahre gebraucht haben, diese Varietät an unsere Umwelt zu gewöhnen.
Video-Interview: Gabriel Agrelli Moreira
In diesem Video könnt ihr das gesamte, ungekürzte Interview mit Gabriel Agrelli Moreira von Daterra hören, das im Januar 2022 aufgezeichnet wurde. Bei dem Transkript handelt es sich um eine stark gekürzte Fassung.
Höher ist besser
Im Laufe dieser Jahre hat Daterra viele Laurina-Pflanzen verloren – knapp 200 Hektar, wie Gabriel schätzt. Trotz dieses aufwändigen, 20 Jahre andauernden Anpassungsprozesses sterben noch immer knapp 30 % aller Laurina-Pflanzen auf dem Feld. Aufgrund dieser kostspieligen Herausforderungen ist es unwahrscheinlich, dass Low Caf-Varietäten jemals in der Masse produziert werden können wie Kaffee mit normalem Koffeingehalt. Auch wenn die Nachfrage hoch ist, der Ertrag ist gering. Der Preis gestaltet sich entsprechend.
Erschwerend kommt hinzu, dass Low Caf-Varietäten nur in höheren Gebieten eine Überlebenschance haben: Sie müssen in beständigen klimatischen Bedingungen wachsen und reagieren besonders empfindlich auf jene Peste und Plagen, wie sie vor allem in niedrigeren Regionen grassieren. Diese Feststellung korrespondiert mit einer Beobachtung unseres Rösters Hannes: Hoch gewachsener Kaffee verfügt über einen geringeren Koffeingehalt aus als niedrig gewachsener. Als Beispiel: Unser Sidamo (2.050 m) zeichnet sich aus durch einen Koffeingehalt von 1,18 g/100 g, der Kivu (1.730 m) durch 1,11 g/100 g. Unser Sierra Nevada (1.000-1.500 m) besitzt einen Koffeingehalt von 1,29 g/100 g, der Cerrado (1.250 m) von 1,42 g/100 g. So zeichnet es sich fort. Aufgrund der geringeren Bedrohungen in höher liegenden Gebieten müssen die Pflanzen weniger Koffein produzieren, um sich vor Feinden zu schützen.
Kann Low Caf-Kaffee zum neuen Trendgetränk werden? Dass sich Laurina und Aramosa als bessere Alternative zum Decaf auf dem internationalen Markt etablieren, ist aufgrund der geringen Verfügbarkeit und des entsprechend höheren Preises unwahrscheinlich. Allerdings gibt es Grund zur Hoffnung für all jene, die bevorzugt entkoffeinierten Kaffee trinken: Aktuell wird an der Züchtung von Kaffeepflanzen geforscht, die von Natur aus koffeinfrei sind, entsprechend nicht im Produktionsprozess entkoffeiniert werden müssen.